Juli.

Zwei Monaten zuvor fand das letzte Schützenfest in Keyenberg statt und einzelne Straßenschmuckreste davon sind noch zu sehen. Schon ab dem nächsten Jahr soll das Schützenfest nämlich in der neuen Siedlung stattfinden.

Aktuelle Telefonbücher wurden vor kurzem verteilt, auch an die Häuser, deren Briefkästen bereits zugeklebt sind.

Eines der letzten Geschäfte verabschiedet sich in diesem Jahr nicht nur in die Sommerferien, sondern endgültig.

Und auch der Kindergarten wird Ende Juli geschlossen. Im Ersatzort ist kein neuer vorgesehen, zukünftig wird der vom Nachbarort mitgenutzt.

 

Mehrere Keyenberger bestätigen mir meinen Eindruck, dass das Dorf sich deutlich schneller leert als die davor umgesiedelten Orte. Und noch ein Punkt unterscheidet diese Umsiedlung: Die Keyenberger haben sich mit RWE darauf verständigt, dass die verlassenen Häuser so lange wie möglich nicht mit Sperrholzplatten zugenagelt werden. Das scheint auch noch gut zu funktionieren, denn Spuren von Vandalismus sehe ich an leergeräumten Gebäuden bislang so gut wie keine. Es gibt allerdings Fenster in wenig exponierter Lage, die vorsorglich von innen zugemauert wurden.

 

Vom Bündnis "Alle Dörfer bleiben!" gibt es Bestrebungen, Mietverträge für Leerstände zwischen RWE und Familien, die bereit sind befristete Mietverträge abzuschließen, zu vermitteln. Denn so mancher fühlt sich durch den Abschlussbericht der Kohlekommission in seiner Hoffnung bestärkt und hält eine neue Leitentscheidung, die das Weiterbestehen u. a. von Keyenberg ermöglichen würde, für denkbar. Das ist wiederum eine schreckliche Vorstellung für andere, die womöglich unnötiger Weise bereits die Flucht nach vorne angetreten haben und ein Szenario, in dem es am Ende zwei Orte (Alt- und Neu-Keyenberg) gibt, als Desaster für die Dorfgemeinschaft bewerten.

In der Grube sind nicht nur Bagger aktiv.

 

 

August.

Es geht voran in der Neubausiedlung. Inzwischen ist sie an eine Buslinie angeschlossen und RWE hat ein Festzelt aufgestellt für Bauherrenversammlungen und Vereinsfeste. Der Friedhof nimmt Gestalt an.

 

Vor seinem Neubau treffe ich einen Herrn, mit dem ich mich in Keyenberg schon mal unterhalten hatte. Er hat sich dem Umsiedlungsprozess nicht gerne gebeugt und kann sich zu allem Überdruss im Moment nicht mal auf (s)ein neues Haus freuen. Der Bauträger hat nämlich mitten im Rohbau Konkurs angemeldet. Für die restlichen Gewerke hat er nach mehreren Monaten Baustillstand zwar einen anderen Bauträger gefunden, aber zu einem höheren Preis. Und eventuelle Gewährleistungsansprüche können natürlich an den ersten Bauträger auch nicht mehr gestellt werden.

Für schlaflose Nächte zahlt RWE keine Entschädigung, ist ja im Fall eines Bauträger-Konkurses auch nicht deren Schuld. Aber seinen Eintritt in den Ruhestand hätte der Herr sich doch wesentlich stressloser gewünscht.

 

In Keyenberg fällt mir wieder auf, wie ansehnlich alles in allem die Bausubstanz dort ist, davon kann manches Dorf z. B. im Saarland nur träumen. Und wenn man die Hauptstraße entlang geht, wird man immer wieder daran erinnert, dass das dörfliche Erscheinungsbild einst von Landwirten geprägt wurde. Im Ersatzort ist dagegen nur Wohnbebauung vorgesehen und landwirtschaftliche Betriebe müssen außen vor bleiben.

 

Nach meinem Eindruck mehren sich die leisen Zeichen des Widerstandes gegen die Umsiedlung, z. B. in Form der gelben Andreas-Kreuze, und an der Fassade der Bäckerei Laumanns wurde ein Kunstwerk zum Thema Umsiedlung installiert.

 

Apropos Kreuze:

Das Fundament des Wegkreuzes am Friedhof ist baufällig. Vielleicht wird es das erste sein, das im Ersatzort neu aufgesetzt wird.

Und auf dem Grab von Frau Sch. ist das Kreuz für ihren Mann hinzugekommen. Herr Sch. ist wenige Monate nach dem Tod seiner Frau schwer erkrankt und hat sich leider nicht wieder erholen können.

 

Blicke in's "Loch"-Geschehen:

 

 

Oktober.

Durch den Rückbau der A61 kommt der Tagebau immer näher an Keyenberg heran. Die hier einst parallel zur A61 verlaufende L277, die u. a. von Alt-Immerath nach Keyenberg führt, ist seit Anfang des Jahres als Werkstraße von RWE ausgewiesen und soll im Laufe des Jahres für den öffentlichen Verkehr endgültig gesperrt werden.

Gemäß Angaben auf der Homepage von RWE wurden mittlerweile 70 % der Anwesen an RWE verkauft und nur für ca. 10 % sind noch keine Verhandlungen aufgenommen worden. Das schnelle Wegziehen der Keyenberger hält also an und nur noch ganz selten sind im Dorf drei nebeneinanderstehende Häuser zu finden, die bewohnt sind. Dieser Dynamik folgend hat die Pfarrei Christkönig Erkelenz im September ihre von der Umsiedlung betroffenen Liegenschaften an RWE verkauft. Die drei denkmalgeschützten Kirchenbauten von Keyenberg, Kuckum und Berverath mit den zugehörigen Gebäuden dürfen allerdings noch genutzt werden, bis der Ersatz in Form des zukünftig gemeinsamen Pfarrzentrums mit einer Kapelle  fertiggestellt ist. Mit dessen Errichtung soll im nächsten Jahr begonnen werden.

 

Wie es der glückliche Zufall will, treffe ich die Keyenberger Küsterin an, als sie die Heilig-Kreuz-Kirche verschließen will und mir aber freundlicher Weise ermöglicht, den ausgesprochen farbenfrohen Innenraum der Kirche zu bewundern. Es bleibt zu hoffen, dass nach  Profanierung der Kirche wenigstens ihr Inventar an anderer Stelle sinnvoll weiter genutzt werden wird, denn in die neue Kapelle werden nur wenige Teile der drei alten Kirchen integriert werden können.

 

Bei meinem Rundgang durch den Ort komme ich außerdem mit einer älteren Dame ins Gespräch, die im Nachbarort Kuckum gewohnt hat und vor kurzem mit einer ihrer Töchter in die Ersatzsiedlung umgezogen ist. Ihr gefällt es dort und sie ist insbesondere froh darüber, dass sie nun nicht mehr ein Haus mit einer Wohnfläche von 200 m² unterhalten muss, sondern im Haus der Tochter nur noch für eine wesentlich kleinere Einliegerwohnung zuständig ist. Auch sie wundert sich über die vielen Leerstände in Keyenberg, das sei in Kuckum noch nicht so extrem.

 

An der Haustür eines kürzlich verlassenen Hauses entdecke ich Spuren eines Einbruchversuches, außerdem fallen mir eine aufgebrochene Garage und mehrere offenstehende Gartentore auf. Von derartigen Vorfällen sind allerdings auch Rohbauten im Ersatzort betroffen, die noch keine sicher verschließbare Haustür haben und aus denen Werkzeuge und Baumaterialien gestohlen werden.

 

Das Ortsschild Richtung Unterwestrich war bei meinem vorherigen Besuch im August zum wiederholten Male entwendet und ist aber nun wieder installiert worden.

 

 

 

November.

Die erste Welle der Umbettungen läuft. Ein Herr erzählt mir, dass nicht alle, die in Keyenberg beerdigt wurden, auf den Friedhof im Ersatzort verlegt werden, sondern auf Wunsch der grabpflegenden Angehörigen ggf. in deren Gemeinden eine neue Ruhestätte finden. Und manche, die erdbestattet wurden, werden nun eingeäschert und wechseln in ein Urnengrab bzw. in eine -wand.

Damit alles seine Ordnung behält, werden die ehemaligen und neuen Gräber mit entsprechend beschrifteten Holztäfelchen versehen. Auf dem alten Friedhof verschwinden sie nach einiger Zeit, weil jemand sie mitnimmt oder sie den Wettereinflüssen nicht länger standhalten, auf dem neuen Friedhof werden sie nach Neusetzung des Grabsteins entfernt. Am Ende der Umsiedlung werden die Reste derjenigen, für die sich kein Angehöriger mehr interessiert, in ein Gemeinschaftsgrab überführt.

 

Bei meinem Spaziergang durch den Ort komme ich am Bolzplatz vorbei, auf dem die Aschereste des Martinsfeuers zu sehen sind, das in diesem Jahr zum letzten Mal in Keyenberg angezündet wurde.

Nach meinem Eindruck ist nur noch jedes dritte Haus bewohnt, aber auch nach Einsetzen der Dunkelheit fühlt es sich dort für mich nicht unangenehm an.

 

Im Ersatzort komme ich mit einem Ehepaar ins Gespräch, das seit einem halben Jahr dort wohnt und zufrieden mit der neuen Wohnsituation ist. Die Entschädigung für das frühere Haus hat für den Neubau gereicht, der aber im Gegensatz zum alten Haus nicht unterkellert ist und dank der bereits ausgezogenen Kinder mit geringerer Wohnfläche geplant wurde. Neubau ohne Keller entspricht nach meinem Eindruck eh dem allgemeinen Trend, als Ersatz dienen Schuppen im Garten oder üppige Garagen.

24/7 im Einsatz:


 

 

Dezember.

Weihnachtsbeleuchtung im Loch (auf dem "Kopf" des Absetzers).

 

In Keyenberg:

Im Ersatzort, wo erstmals im öffentlichen Raum, und zwar am Festzelt, ein geschmückter Baum aufgestellt ist: